Transformation der Agenturen: Woher kommt die Krise? (Teil1)

Software eats services first - als Unternehmer im Digitalbereich und COO einer (seit Anfang 2021 ehemaligen) Digitalagentur befasse ich mich in den letzten Jahren mit der Frage nach der Zukunftsfähigkeit des eigenen Geschäftsmodells. Meine provokante Hypothese:

Agenturen und digitale Dienstleister, wie sie derzeit in Massen existieren, wird es in fünf Jahren nicht mehr geben!

Gerade Agenturen, wie man sie aus dem Digitalbereich, Marketing und der Werbung kennt, werden verschwinden. Eine disruptive Marktentwicklung ist zwar nicht auf den ersten Blick zu erkennen, bei näherem Hinsehen sind Anzeichen dafür aber nicht von der Hand zu weisen.

Dieser Artikel ist die Einleitung zu einer Serie, in der ich auf unterschiedliche Thesen rund um das Thema genauer eingehen möchte und die Grundlage wagen, das eigene Business Model zu hinterfragen und die Projekteins in diesem Prozess neu aufzustellen. Insights, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte und die Ihnen vielleicht weiterhelfen. Aber fangen wir mit den Grundlagen an:

Ein Geschäftsmodell am Zenit

Das Geschäftsmodell „Agentur“ steht unter Druck. Das Modell, das bereits um 1880 aufkam und in den 80er und 90er Jahren seinen Boom erlebte, ist heute ein mehr und mehr veraltetes Modell und steht auf dem Prüfstand. „Unser Geschäftsmodell hat sich aber völlig verändert“, sagt Holger Jung, Hamburger Unternehmer und Gründer der Werbeagentur Jung von Matt. „Die Atomisierung der Kanäle setzt eine völlig andere Beratungsqualität und Spezial-Know-how voraus.“ Agenturen müssen auf immer speziellere Leistungen der Kunden reagieren. „Das Geschäft ist heute kleinteiliger und aufwändiger geworden“, so Jung.

Sicherlich können sich nicht alle Gründer und Geschäftsführer von Agenturen mit der Sichtweise des renommierten Werbers identifizieren. Dennoch, unabhängig welcher Ausrichtung, das Agenturmodell geht in den meisten Fällen langfristig nicht in einer skalierbaren Lösung auf. Und das liegt weniger an der Ausrichtung als an dem Grundverständnis der Agentur und nicht zuletzt an den Wünschen der Kunden. Agenturen verstehen sich als Dienstleister, arbeiten zuverlässig und 24/7 - erfüllen reaktiv ihrem Kunden jeden Wunsch, zu jeder Zeit. Das Problem: Darüber geht es häufig nicht hinaus.

Die Agenturen bieten reaktiv Leistung,
nicht proaktiv Lösungen.

Die Hubspot-Studie „Wie sieht die Agentur des Jahres 2020 aus?“ formuliert diese Problemfelder mit Nachdruck.

Gehemmte Skalierbarkeit

Warum investieren Risikokapitalgeber für gewöhnlich nicht in Dienstleistungsmodelle? Ein wesentlicher Faktor für die begrenzte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit liegt in der nicht-exponentiellen bzw. mitarbeitergebundenen Skalierbarkeit. Problematisch wird schon die Projektgestaltung. Während der Agentur daran gelegen ist, große Komplexität mit vielen abrechenbaren Arbeitsstunden zu schaffen, sucht der Kunde nach Effizienz. Für ihn ist Expertise dann interessant, wenn die Agentur Anforderungen schneller lösen kann. Der Interessenkonflikt liegt auf der Hand. Der Output ist zudem fast 1:1 auf Personen übertragbar. Die Skalierbarkeit des Modells mit dem Ziel einer Umsatzsteigerung erfolgt hauptsächlich über die Mitarbeiterzahl.

Mehr Umsatz kann nur über mehr Mitarbeiter generiert werden - was im gleichen Zuge ebenfalls mehr Kosten bedeutet.

Typischerweise erwirtschaftet eine Agentur mit 40 Mitarbeitern einen Umsatz von 3 Mio. Euro, mit 80 Mitarbeitern 6 Mio. Euro, also unter 100.000 Euro Umsatz pro Mitarbeiter. Das ist jedoch, meiner Meinung nach, ein kritischer Richtwert als Indikator, ob das Unternehmen erfolgreich und langfristig agieren kann. Das Internetagentur-Ranking des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) zeigt, dass lediglich 37% der gerankten 172 Agenturen diesen Wert erreichen. Der Großteil liegt deutlich darunter. Der Break Even, ein Überschreiten der 100.000 Euro pro Mitarbeiter, liegt relativ hoch. Die entsprechenden Unternehmen verfügen durchschnittlich über 152 Mitarbeiter. Betrachtet man im Gegenzug die durchschnittliche Mitarbeiterzahl der restlichen 108 Unternehmen (63%), liegt bei diesen die durchschnittliche Mitarbeiterzahl bei 77,5 Mitarbeitern.

Dem gegenüber stehen steigende Personal- und weitere Fixkosten. Berücksichtigt man ansteigende Forderungen im Gehaltsgefüge, wird die geringe Wertschöpfungsqualität besonders deutlich, so dass im Schnitt der EBITDA in Agenturen mit einem durchschnittlichen Wert von <5% mehr oder weniger konstant (gering) bleibt.

Am Markt sehen wir heute starke Konsolidierungstendenzen mit Beispielen wie Dept, kapitalisiert durch die Carlyle Group, oder zu erkennen an den Geschäftstätigkeiten von Martin Sorrell mit seiner Werbeholding WPP. Nicht selten sind dies Strategien für die Schaffung von relevanter Leistungsfähigkeit und Wertschöpfungsqualität, nehme ich an.

Problematisch sind nicht nur bei Agenturen, sondern auch bei digitalen Dienstleistern im Umfeld von Online-Marketing-, E-Commerce- bis hin zu ERP-Dienstleistungen, Akquisekosten und Komplexitätskosten. Daraus ergeben sich zwangsläufig nur Leistungen, die für zahlungskräftige, große Unternehmenskunden konzipiert sind. Der adressierbare Markt ist also stark limitiert. Die Masse der KMU (SMB) ist nicht wirtschaftlich zu bedienen.

Wie Sie sehen, hat sich das Geschäftsmodell der meisten Agenturen in eine Sackgasse enzwickelt. Nachdem die goldenen Jahre der 80er/90er schon lange zurückliegen, finden die aktuellen, vielleicht nur noch bronzenen Jahre, nun ihren Abschluss. Das Ende der Agenturen also? Eher der Beginn eines nachhaltigen Wandels. Wie dieser, aus meiner Sicht, aussehen könnte, lesen Sie im nächsten Teil: Transformation der Agenturen: Ein Wandel steht bevor.


Dieser Text entstand mit meinen Kolleginnen Anja Sieweke und Sina Kliemann.

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